- Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland verläuft träge: Zentrale Akteure nicht einig über Art der Herstellung und Anwendung von Wasserstoff.
- Borderstep Institut und Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) empfehlen, den absehbar knappen Wasserstoff gezielt für eine wirksame Dekarbonisierung einzusetzen.
- Priorität sollte auf „grünem“ Wasserstoff liegen, „blauer“ Wasserstoff (mit fossilen Energien erzeugt) sollte nicht gefördert werden. Investitionen in parallele Infrastrukturen wie ertüchtigte Gasverteilnetze für die dezentrale Wärmeversorgung müssen vermieden werden.
Seit drei Jahren hat Deutschland eine Nationale Wasserstoffstrategie. Doch der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft verläuft weiterhin träge. Das Problem ist fehlende politische Richtungssicherheit, wie eine aktuelle Studie von Borderstep Institut und Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zeigt. Die Forschenden weisen darauf hin, dass sich zentrale Akteure nicht einig sind, wie Wasserstoff produziert und wo er eingesetzt werden sollte. Auch die Bundesregierung beziehe keine hinreichend klare Position, so die Studie mit Förderung durch das Bundesforschungsministerium in der Förderrichtlinie „Insight“ zur Innovationsfolgenabschätzung. Dies birgt die Gefahr, dass wichtige Investitionen verzögert oder fehlgeleitet werden könnten. Aufbauend auf einer Analyse des aktuellen Policy-Mix geben die Institute im Papier „Priorisierung und Richtungssicherheit als Aufgabe der Wasserstoffpolitik“ Empfehlungen, wie der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft beschleunigt werden kann.
Wasserstoff ausbauen: Was die Politik jetzt tun sollte
„Damit die Wasserstoffwirtschaft Fahrt aufnimmt und zum Erreichen der Klimaziele beiträgt, sollten insbesondere jetzt zu Beginn des Hochlaufs solche Anwendungen gezielt gefördert werden, die zur Dekarbonisierung auf Wasserstoff angewiesen sind“, erklärt Projektleiter Klaus Fichter vom Borderstep Institut. „Stahl- und Chemieindustrie können nur mit Wasserstoff klimaneutral werden. Für den Individualverkehr oder die Beheizung von Gebäuden bieten sich alternative Technologien wie Elektromobilität oder Wärmepumpen an, die günstiger und umweltfreundlicher sind. Es ist enorm wichtig, jetzt bei den Einsatzbereichen von Wasserstoff Richtungssicherheit zu schaffen.“
Politik sollte „blauen“ Wasserstoff nicht fördern
Die Forschenden mahnen an, dass bei der energieintensiven Produktion und dem Import von Wasserstoff eine klare Priorität auf „grünen“ Wasserstoff gelegt werden sollte – also auf solchen, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wurde.
„Blauer Wasserstoff, der mit fossilem Erdgas hergestellt wird, ist nicht klimaneutral und daher keine langfristige Option“, erklärt Florian Kern vom IÖW. „Er wird als Übergangslösung politisch bislang nicht ausgeschlossen. Das ist riskant, da bestehende fossile Pfadabhängigkeiten verlängert und Investitionen in eine falsche Richtung geleitet werden, die dann an anderer Stelle fehlen. Es ist wichtig, zusätzliche Anreize dafür zu schaffen, grünen Wasserstoff in Deutschland und in anderen EU-Ländern zu produzieren. Die Produktion oder der Import von blauem Wasserstoff sollte nicht staatlich gefördert werden, auch nicht indirekt, etwa über Bürgschaften für Infrastrukturprojekte wie Pipelines.“
Warnung vor parallelen Infrastrukturen bei Wärmeversorgung und im Verkehr
Am Beginn einer technologischen Transformation ist es wichtig, verschiedene Optionen offenzuhalten, so die Studienautoren. Sie warnen aber: Spätestens bei einem Hochlauf kann es problematisch werden, verschiedene Technologiepfade parallel zu beschreiten. So sollten die Strom- und die Gasnetze nicht gleichzeitig für die dezentrale Wärmeversorgung ertüchtigt werden. „Mit Wasserstoff zu heizen, verbraucht im Vergleich zu einer Wärmepumpe fünfmal so viel Strom“, erklärt Klaus Fichter. „Aus Wirtschaftlichkeits- und Klimaschutzgründen empfehlen wir, Kommunen dabei zu unterstützen, bei der Erstellung der Wärmepläne auf verbrennungsfreie Methoden der Wärmegewinnung zu setzen.“
Auch ein Pkw, der mit wasserstoffbasierten E-Fuels betrieben wird, benötigt im Vergleich zu einem Elektroauto etwa fünfmal so viel Strom. Daher ist es riskant, ein Tankstellennetz für Wasserstoff parallel zu den Ladeinfrastrukturen für die Elektromobilität aufzubauen, warnt die Studie. Fortschritte bei Batterien für Lkw könnten dazu führen, dass sich die Investitionen in das Tankstellennetz nicht rentieren. „Die Verantwortung der Technologie- und Energiepolitik liegt darin, derartige Fehlinvestitionen und versunkene Kosten sowie damit verbundene Pfadabhängigkeiten zu vermeiden“, so Transformationsforscher Kern.
Das Forschungsprojekt „Wasserstoff als Allheilmittel?“ hat zwei Jahre lang untersucht, wie die Politik der Wasserstoffwirtschaft Richtungssicherheit geben kann. Es wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderprogramm „Insight – interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels“.