Borderstep Impact Forum 2019
21. Mai 2019 | Harnack-Haus Berlin
Impact Forum 2019: Digitalisierung eine Richtung geben
Nachhaltige Entwicklung durch Digitalisierung und Vernetzung
Industrie 4.0, Cloud Computing, Internet of things: Die Digitalisierung bietet viele Chancen, eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Entwicklung durch digitale Technologien zu unterstützen. Doch ohne eine klare Richtungssetzung kann die Digitalisierung der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele deutlich entgegenwirken: Durch höheren Verbrauch von Energie, Rohstoffen, Konsumgütern. Wie kann die nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung gelingen? Dieser Frage widmete sich das Borderstep Impact Forum 2019 im Harnack-Haus in Berlin.
Wie wird Cloud Computing grün?
Wie kann dem Energiehunger der Digitalisierung entgegengesteuert werden? Auf welche Weise lassen sich die Umwelt- und Klimaschutzpotenziale des Cloud Computing erschließen? Dazu debattierten im Rahmen einer Podiumsdiskussion Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, seine Exzellenz Botschafter Per Thöresson der Schwedischen Botschaft Berlin, Dr. Béla Waldhauser, CEO der Telehouse Deutschland GmbH und Sprecher der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen, Dr. Jens Struckmeier, CTO und Gründer des Unternehmens CLOUD & HEAT Technologies GmbH und Prof. Dr. Klaus Fichter, Gründer und Direktor des Borderstep Instituts.
Dem Podium vorausgegangen waren fünf Fachforen. Diskutiert wurden dort verschiedene Aspekte im Themenfeld Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Von Chancen und Risiken von Industrie 4.0 für Nachhaltigkeit über Förderungs- und Finanzierungsstrategien für grüne Start-ups bis hin zu den Möglichkeiten, die Digitalisierung und Vernetzung im eigenen Zuhause bieten. Auch die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Rechenzentrumsbranche und den Gebäudesektor wurden diskutiert.
Potenziale der Digitalisierung in die Realität umsetzen
Dr. Ralph Hintemann, Gesellschafter und Senior Researcher des Borderstep Instituts, setzte einführende Impulse zu Beginn der Podiumsdiskussion. Zwar böte die Digitalisierung enorme Potenziale für mehr Nachhaltigkeit, doch seien viele dieser Potenziale mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre nicht realisiert worden. Dies verdeutlichte er anhand von konkreten Zahlen: So stieg der Papierverbrauch in Deutschland gegen Erwartungen des sogenannten papierlosen Büros von 150 kg pro Kopf im Jahr 1980 auf 250 kg pro Kopf im Jahr 2018. Auch die Anzahl der Geschäftsreisen seien seit 2004 trotz weiterentwickelter Videotelefonie-Angebote um fast 30% gestiegen, betonte der Wissenschaftler.
Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik verhalte es sich ähnlich: „Wenn das Internet ein Land wäre, wäre es gemessen am Stromverbrauch das fünftgrößte der Welt“, sagte Ralph Hintemann. Zum stark angestiegenen Energiehunger der Digitalisierung trage auch das Cloud Computing bei. Von diesem macht immerhin jedes vierte Unternehmen in der EU mittlerweile Gebrauch. Nur einige Beispiele, die den dringenden Handlungsbedarf deutlich machen, die Potenziale der digitalen Transformation mit Hilfe von Innovationen für die Nachhaltigkeit zu erschließen.
Nachhaltige Digitalisierung durch festen Handlungsrahmen gestalten
Die parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bekräftigte die Relevanz der gezielten Innovationsförderung, um die Potenziale der Digitalisierung zu erschließen. Sei dies nicht gegeben, so könne die Digitalisierung schnell als planetarische Grenzen überschreitender Brandbeschleuniger statt als Brandlöscher fungieren. „Dabei ist wichtig, immer wieder aufs Neue zu hinterfragen, zu welchem Zweck digitale Technologien genutzt werden.“ Die Anfang Mai 2019 erschienenen Eckpunkte für eine umweltpolitische Digitalagenda des BMU setzten genau hier mit konkreten Vorschlägen für eine zukunftsfähige Digitalisierung an. Unter anderem sei vorgesehen, einen Raum für Forschung, Start-ups und Netzwerke zu schaffen, Projekte an der Schnittstelle von Künstlicher Intelligenz und Umwelt- und Naturschutz zu fördern sowie ein digitales Monitoringzentrum zur besseren Beobachtung der Umwelt einzurichten.
Diese und weitere Ideen sollen bis Ende des Jahres in einem gemeinsamen Dialog mit relevanten Akteuren zur finalen Umweltpolitischen Digitalagenda erarbeitet werden. Dabei unterstrich Frau Schwarzelühr-Sutter, dass diese Richtungsgestaltung von Seiten des BMU als lebendiger Prozess vorgesehen sei. Auch das Potenzial junger Menschen, beispielsweise der Unterstützer der Fridays for Future-Bewegung, solle genutzt werden. Übergreifend gesehen, betonte sie, brauche es einen europäischen Weg, um die Digitalisierung nachhaltig zu gestalten.
Ein Blick in die Digitallandschaft Schwedens
Auch seine Exzellenz Botschafter Per Thöresson zeigte sich überzeugt von der Notwendigkeit, die Digitalisierung durch politische Zusammenarbeit nachhaltig zu gestalten. Handlungsrahmen wie die schwedisch-deutsche Innovationspartnerschaft seien hier richtungsführend. Dass Schweden vor allem in Sachen Digitalisierung und Nachhaltigkeit wegweisend wirkt, unterstrich Thöresson mit Beispielen aus der schwedischen Digitalpolitik. So habe das Hightech-Land die Nachhaltigkeit als eine Kernforderung in seiner Verfassung verankert – ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einem nachhaltigen, digitalisierten Schweden. Die Digitalisierung sei dabei nicht das Ziel an sich, sondern fungiere als grundlegendes Werkzeug für eine erhöhte Lebensqualität der Bevölkerung, erklärte Thöresson.
Im Jahr 2016 erhielt ein eigens dafür eingerichtetes Komitee den Auftrag, den Aktionsplan der Agenda 2030 mithilfe der Digitalisierung umzusetzen. Das zeige, wie wichtig das Thema in der politischen Entscheidungslandschaft Schwedens sei, betonte der Botschafter. Des Weiteren sorge ein Amt für digitale Verwaltung dafür, die Digitalisierung des öffentlichen Sektors voranzutreiben. „Auch ein Großteil der schwedischen Gesellschaft ist durch die Digitalisierung geprägt und bringt technologischen Entwicklungen und Strukturen großes Vertrauen sowie Offenheit entgegen. Der Grundstein dafür werde bereits in der Schule gelegt, wo digitale Technologien als Hilfsmittel in den Unterricht integriert werden.
Auf dem Weg zu einem effizienteren Rechenzentrumsbetrieb in Deutschland
Cloud-Technologien bestimmen zunehmend den Alltag und erfordern die Entwicklung grüner Rechenzentren. Deshalb könne man viel von den beispielhaften Entwicklungen in Schweden lernen, betonte Klaus Fichter vom Borderstep Institut. Dass hier noch vergleichsweise viel Entwicklungsbedarf in Deutschland bestünde, verdeutlichte auch Thöresson: „In Schweden werden 14.000 Rechenzentren mit demselben CO2-Abdruck wie ein Rechenzentrum in Deutschland betrieben.“
Zwar werde in effiziente Versorgungstechnik investiert, doch die Potenziale der Abwärmenutzung blieben fast ausschließlich ungenutzt. Dies läge vor allem daran, dass sich nur schwer Abnehmer für die Abwärme finden ließen, erklärte Dr. Béla Waldhauser, CEO der Telehouse GmbH, die Unternehmen und Anbietern von Telekommunikations-, Internet- und Cloud-Services hochverfügbare Rechenzentrumsflächen bietet. „Bei der Problemlage steht die physische Verbindung im Vordergrund. Viele unserer Kunden bringen ihre eigene IT mit, worauf wir wenig Einfluss haben. Außerdem ist die für die Einspeisung ins Fernwärmenetz benötige Temperaturerhöhung wirtschaftlich nicht vertretbar.“
Wie kann die Abwärmenutzung von Rechenzentren gezielter gefördert werden?
In Schweden baue die ausgeprägte Abwärmenutzung auf einer langen Tradition, bemerkte Thöresson. Ihm nach fehle in Deutschland ein passendes Geschäftsmodell, auch die Politik sei hier gefragt, vor allem hinsichtlich gezielter Investitionsförderungen, bekräftigte Waldhauser. Dass Rahmenbedingungen für Investitionen bereits bestünden, zeigte Schwarzelühr-Sutter auf. Unter der Kommunalrichtlinie bezuschusse das BMU Kommunen, die in energieeffiziente Rechenzentren investieren. Auch in Zukunft würden diese eine größere Rolle spielen, beispielsweise im Rahmen von Quartiersentwicklungen, die Angebote von Kühlung und Heizung verknüpfen könnten. Des Weiteren treibe das Umweltbundesamt, welches für die Entwicklung des Umweltgütesiegels Blauer Engel zuständig ist, Innovationen durch Forschung zu europäischen Rahmenbedingungen für umweltfreundliche Technologien in virtuellen Strukturen voran.
Dr. Jens Struckmeier, CTO und Gründer der Dresdner CLOUD & HEAT Technologies GmbH, verwies neben der Notwendigkeit der Innovationsförderung durch die Politik jedoch auch auf die Rolle der Innovationsregulierung durch den freien Markt. Das einstige Start-up CLOUD & HEAT hat sich durch die Entwicklung eines Heißwasserkühlsystems zu einem namhaften Unternehmen entwickelt. Die Innovation macht Server-Abwärme für die Gebäudebeheizung nutzbar. „Eines der wenigen Beispiele effizienten Umbaus klassischer Rechenzentren stellt das Eurotheum in der Datacenter-Hauptstadt Frankfurt dar.“ Hier habe die Firma seine innovative Technik im ehemaligen Rechenzentrum der EZB eingesetzt, um neben signifikanten Kosteneinsparungen auch eine deutliche Verbesserung der CO2-Bilanz zu erreichen. „Ich wünsche mir, dass die IT-Infrastruktur eines Tages zu einer Basisstruktur wie z.B. der Wasserinfrastruktur wird. Deutschland ist bereits Effizienzweltmeister. Ich sehe uns in Zukunft auch als weltweit größten Anbieter der Abwärmenutzung“, sagte Struckmeier.
Um weiterhin die Anerkennung der Abwärme als kostbares Gut zu erreichen, brauche es ein Handeln auf europäischer Ebene, forderte Struckmeier. Dem stimmten auch die anderen Podiumsteilnehmer zu. Auch Botschafter Per Thöresson plädierte für mehr Europa, denn im Alleingang könne auch ein vorbildlich aufgestellter Staat wenig erreichen. „Nur die Zusammenarbeit innerhalb Europas ermöglicht eine wirklich smarte Digitalisierung.“