Unter Leitung von Dr. Jens Clausen entwickelte Stellungnahme der Scientists4Future veröffentlicht

Wärmewende gegen Erdgasabhängigkeit

Erdgas wird in Deutschland hauptsächlich zur Wärmeerzeugung genutzt. Die Wärmewende ist daher das wichtigste Mittel, um sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien. In einer Stellungnahme erläutern Wissenschaftler:innen aus dem Umkreis der Scientists for Future (S4F) mit dem Borderstep Gesellschafter Dr. Jens Clausen als Leitautor die aktuellen Abhängigkeiten und zeigen Handlungsmöglichkeiten auf, welche die Wärmewende erheblich vorantreiben würden.

Die Zahlen sind bekannt: Über 55 % des in Deutschland verbrauchten Erdgases kommen aus der Russischen Föderation, aktuell importiert Deutschland 500 TWh russisches Erdgas pro Jahr. Erdgas ist mit 27 % des deutschen Gesamtenergiebedarfs der zweitwichtigste Energieträger Deutschlands. Den größten Anteil am Erdgasverbrauch hat derzeit der Wärmesektor. Zwei Drittel des Erdgases gehen in Deutschland in die Wärmeversorgung, die privaten Haushalte nutzen 28 % des gesamten Erdgases, die Industrie 26 % und der Dienstleistungssektor etwa 12 %, wohlgemerkt nur zur Wärmeversorgung. Der Wärmeenergieverbrauch stellt sich damit als die Schlüsselgröße heraus, um aus der Abhängigkeit von dieser fossilen Energiequelle herauszukommen, sicherheits- wie klimapolitisch.

Mittelfristig bedarf es einer grundsätzlichen Umorientierung. Die klassische Form der Wärmeerzeugung durch Verbrennen ist überholt, neue technologische Lösungen stehen längst zur Verfügung. Klimaneutralität und eine  nachhaltige Abkehr von politischer Erpressbarkeit ist letztlich nur durch erneuerbare Energien möglich. Wärmeversorgung durch elektrische Wärmepumpen und durch solarthermische Anlagen sind bereits heute Stand der Technik, sie produzieren kostengünstige Energie, die wir im eigenen Land erzeugen können.

Wärmepumpen: Strom als neue Basis für Wärme

Bereits heute werden Gas- oder Ölheizungen durch Wärmepumpen ersetzt. Planungen sehen vor, dass Wärmepumpen langfristig bis zu 70 % des Wärmebedarfs decken. Diese entziehen der Umgebung (Luft, Erde, Abwasser, industrieller Abwärme, unterirdischen Wasseradern und Gewässern) mithilfe von Strom Wärme und heizen damit Häuser und niedrigthermische industrielle Prozesse. 2021 wurden etwa 150.000 Heizungswärmepumpen installiert, das sind aber lediglich 18 % aller ausgetauschten und neugebauten Heizsysteme. Dieser Anteil muss möglichst rasch auf 80 % gesteigert werden. Ziel muss sein, für diese Heizsysteme möglichst schnell nur noch Wärmepumpen oder den Anschluss an Wärmenetze zuzulassen. Um den absehbar steigenden Bedarf an Wärmepumpen zu decken, müssen modernste Produktionsanlagen  entstehen. Ziel sollte es sein, ab 2025 ca. 800.000 möglichst langlebige Wärmepumpen pro Jahr herzustellen und ihren Preis gegenüber dem heutigen Niveau zu halbieren.

Der erforderliche Strom muss und kann regenerativ erzeugt werden, wie die Scientists for Future in einigen Studien gezeigt haben. Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geplante Ausbau von Wind- und Solarenergie ist wichtig, um den für die neue Wärmeversorgung erforderlichen Strom bereit zu stellen und den heutigen Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung zu reduzieren. Der Ausbau sollte so schnell wie möglich vorangetrieben werden. Die verstärkte energetische Sanierung und Umstellung im Industriebereich kann viel Energie einsparen, insbesondere auch durch den Ausbau von Wärmepumpen.

Solare Wärme: eine ideale Ergänzung zum schnellen Umstieg auf regenerative Energien

Sonnenenergie ist unerlässlich zur regenerativen Stromerzeugung, und sie ist ebenso wichtig als Wärmequelle. Solarthermische Anlagen werden schon heute vollständig in Deutschland und Europa produziert und sind daher kurzfristig verfügbar. 10 bis 20 % der Niedertemperaturwärme lassen sich sinnvoll durch solarthermische Anlagen bereitstellen. Anwendungsgebiete der Solarthermie sind Privathaushalte, gewerbliche und industrielle Prozesse und die Einspeisung in Wärmenetze. Ein Großteil des Wärmebedarfs zur Trinkwassererwärmung und auch ein kleinerer Teil des Raumheizungsbedarfs kann problemlos solarthermisch gedeckt werden. Zudem liegt das Anwendungspotential für gewerbliche und industrielle solare Prozesswärme bei ca. 60 TWh pro Jahr. So verringern solarthermische Anlagen die Abhängigkeit von Energieimporten und fördern die Energieautarkie Deutschlands und der Europäischen Union.

Herausforderung Arbeitsmarkt

Für die rasche Installation von Wärmepumpen sind Handwerkerinnen und Handwerker gefragt. Eine Ausbildungsoffensive für den Wärmepumpeneinbau kann Engpässen vorbeugen. Sie wird auch dringend benötigt. Flankierende Maßnahmen im Arbeitsmarkt können hier unterstützen.

Freiheitsenergie, sozial ausgewogen

Der von der Politik geplante Ausbau der Wind- und der Solarenergie macht es möglich, dass der zusätzliche Strom für die Wärmepumpen erneuerbar ist. Der Umbau des Energiesystems muss soziale ausgewogen erfolgen: Scientists for Future betonen, dass die sozialen Maßnahmen bei gut durchdachten Entscheidungen zu den gewünschten Entlastungen für die geringeren Haushaltseinkommen führen werden. Sie schlagen vor, ein Energiegeld einzuführen, gestaffelt nach sozialen Kriterien. Dies würde die unteren Einkommen entlasten und zugleich zu einem sparsameren Umgang mit Wärme führen.

Hauptlast bei den Kommunen

Auch die Kommunen leisten einen wichtigen Beitrag zur Wärmewende. In dicht besiedelten Gebieten sollten so schnell wie möglich Zonen für Wärmenetze ausgewiesen werden, bestehende Wärmenetze müssen schnell auf regenerative Wärmequellen umgestellt werden. In Fernwärmenetze kann Abwärme aus der Industrie sowie Umweltwärme durch die Nutzung großer Wärmepumpen, Wärme aus Tiefengeothermie und Solarthermie und übergangsweise auch Wärme aus der Verbrennung von Rest- und Abfallstoffen eingespeist werden. Zur saisonalen Wärmespeicherung ist der Einsatz von Erdbeckenspeichern, unterirdischen Reservoirs ebenfalls eine Option.

Vielfach stoßen die erforderlichen Maßnahmen noch auf politische, rechtliche und ökonomische Regulatorien, die ein schnelles Umsteuern verhindern. Diese sollten angesichts der doppelten Bedrohung durch die Importabhängigkeit von russischem Erdgas und die Klimakrise sehr schnell geändert werden.