Borderstep veröffentlicht Interviewreihe zu virtuellen Konferenzen

Konferenzen im Netz: Gut für das Klima

Die jährliche Konferenz der International Society for Professional Innovation Management (ISPIM) bringt führende Innovationsforscher und -praktiker aus aller Welt zusammen. Sie findet wie viele Tagungen in Zeiten von Reisewarnungen und Kontaktverboten dieses Jahr virtuell statt. Eigentlich war Berlin als Veranstaltungsort vorgesehen. Aufgrund der aktuellen Lage heißt das neue Konferenzmotto jedoch „Innovating in times of crisis“. Getagt wird im Netz.

Virtuelle ISPIM spart 95% der CO2-Emissionen

Das Borderstep Institut, Partner und Mitveranstalter des Events, hat die Auswirkungen dieser Entscheidung auf das Klima berechnet. Die wegfallende Anreise der Teilnehmenden führt etwa zu einer Reduktion des CO2-Fußabdrucks um den Faktor 20. An der ISPIM-Konferenz hätten etwa 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern teilgenommen, davon über 130 mit weltweiten Anreisen von anderen Kontinenten. Diese Veranstaltung vor Ort würde allein durch die Interkontinentalflüge zu CO2-Emissionen in der Höhe von etwa 850 Tonnen führen, einschließlich des Aufenthalts der Reisenden vor Ort. Die Anreise der europäischen Teilnehmenden zu einer Veranstaltung und der Aufenthalt in Berlin würde weitere 100 Tonnen CO2 verursachen.

Netztagungen ersetzen nicht persönlichen Austausch

Mit der virtuellen Konferenz werden nun etwa 95% der CO2-Emissionen der ursprünglich geplanten Veranstaltung vor Ort eingespart. Unter Klimaschutzgesichtspunkten haben virtuelle Konferenzen also eindeutig Vorteile. Gleichzeitig ist klar, dass Netztagungen nicht den persönlichen Austausch in der Kaffeepause oder das informelle Networking bei den Social Events und der Konferenzparty ersetzen können. Die Lösung könnte darin liegen, physische Tagungen im Wechsel mit virtuellen Konferenzen durchzuführen oder Mischformen zu nutzen, bei denen Keynote Speaker nicht mehr eingeflogen, sondern per Video dazu geschaltet werden.

Wie verändert Corona langfristig das Reiseverhalten im Job?

Borderstep beschäftigt sich bereits seit Herbst 2019 in einem Forschungsprojekt mit der Frage, wie die Digitalisierung zum Klimaschutz beitragen kann. Das Forschungsteam hat dafür Befragungen rund um virtuelle Konferenzen und das Geschäftsreiseverhalten durchgeführt. Es zeigt sich, dass bisher für viele die Kommunikation per Video nur eine untergeordnete Rolle spielte. Seit März 2020 aber nutzen viele Unternehmen den virtuellen Raum nicht nur für die interne Kommunikation, sondern auch für Veranstaltungen. Die Borderstep-Studie zeigt, warum sich erst jetzt, wo nicht mehr gereist werden kann, die Videokonferenz erstmals wirklich durchsetzt. Die Interviews weisen darauf hin, dass das Reiseverhalten nie mehr so wird wie vor Corona.

Hintergrund

Die internationale Konferenz der „International Society for Professional Innovation Management“ (ISPIM), die vom 7. bis 10. Juni 2020 in Berlin stattfinden sollte, wurde wie viele andere Events aufgrund der Corona Krise auf das Jahr 2021 verschoben. Um den wissenschaftlichen Austausch aber dennoch aufrecht zu erhalten, findet die Tagung nun in diesem Jahr als virtuelle Konferenz statt.

Virtuelle ISPIM: 50 Tonnen C02 statt 1.000

Das alles hat negative Auswirkungen auf die Hotel- und Reisebranche, auf die Fluggesellschaften und die Cateringunternehmen und auch auf Berlin als Konferenzstandort. Aber es entlastet auch die Umwelt. Der materielle Aufwand für eine virtuelle Konferenz ist ungleich geringer. Nach Berechnungen des Borderstep Instituts, hätten die etwa 600 vorwiegend internationalen Gäste der ISPIM durch die Inanspruchnahme von Reise- und Hoteldienstleistungen zusammengenommen etwa 950 Tonnen CO2-Emissionen verursacht. Der CO2-Ausstoß der virtuellen Variante wurde auf Basis von aktuellen Daten über die zusätzliche Auslastung des Internets durch Videoconferencing sowie auf Basis von Borderstep-Daten zum Energieverbrauch von Rechenzentren und dem Internet abgeschätzt. In der virtuellen Variante werden die CO2-Emissionen nur bei etwa 50 Tonnen liegen.

Wie nützt die Digitalisierung dem Klimaschutz?

Aber warum findet so ein virtuelles Event erst jetzt statt? Warum waren virtuelle Konferenzen „vor Corona“ technisch gut ausgerüsteten Staatspräsidenten, Ministern und Konzernchefs sowie einer kleinen Gruppe von IT-Pilotanwendern vorbehalten?

Mit dieser Frage beschäftigt sich aktuell das Borderstep Projekt „Klimaschutzpotenziale der digitalen Transformation“. Seit Herbst 2019 fragte das Forschungsteam in qualitativen Interviews nach Hintergründen von und Erfahrungen mit virtuellen Meetings.

Videokonferenzen waren „vor Corona“ wenig verbreitet

Bisher nutzte die Breite der befragten Geschäftsleute, über 90%, eigentlich nur Telefonkonferenzen. Nachteil dieser Kommunikationsform: Es kann keine Präsentation gezeigt werden, man sieht sich nicht, Mimik und Gestik werden nicht wahrgenommen. So bleibt alles oft auf der sachlichen Ebene.

Dr. Jens Clausen, Projektleiter Forschungsvorhaben CliDiTrans und Co-Autor der Studie: „In der Kürze der Besprechung werden persönliche Konflikte manchmal eher verschärft als aufgelöst. Bei Videokonferenzen können Präsentationen gezeigt werden, auch Mimik und Gestik sind sichtbar. Damit ist eine Videokonferenz in ganz anderer Weise als ein Gruppentelefonat ein Event, bei dem Informationen ähnlich wie im Konferenzraum grafisch unterstützt werden können. Kolleginnen und Kollegen werden bewusst und als Person wahrgenommen.“

Stefanie Schramm, Researcherin am Borderstep Institut und Co-Autorin der Studie: „Der Mehrwert von Videokonferenzen zeigte sich aber erst, als die Ressentiments gegen die unbekannte und ungeübte Kommunikationsform überwunden werden mussten. Seit dem Lockdown beobachten wir einen bisher unbekannten Run auf Videokonferenzen – viele lernen erst durch diese erzwungene Testphase Vor- und Nachteile dieser technischen Anwendung kennen.“

Gute Argumente für weniger Geschäftsreisen

Das Fazit des Forschungsteams nach der Auswertung der Interviews ist deutlich: Videokonferenzen werden sich auch nach dem Lockdown etablieren. Gerade bei kurzen Meetings sparen sie oft nicht nur Reisekosten, sondern ein Mehrfaches der Konferenzdauer an Reisezeit. Virtuelle Meetings sind damit nicht nur klimafreundlich, sondern auch zeitsparend.

Warum brauchte es die Krise für diese Erkenntnis? Die Interviews zeigen, dass vor dem Lockdown virtuelle Meetings mit großer Unsicherheit betrachtet wurden und ihnen in der Geschäftswelt wenig Wertschätzung entgegengebracht wurde.

Dr. Jens Clausen, Projektleiter Forschungsvorhaben CliDiTrans und Co-Autor der Studie: „Hier kommen zwei Punkte zusammen. Einerseits wären noch vor wenigen Jahren die Internetverbindungen nicht gut genug gewesen. Deshalb kann sich das „Window of Opportunity“ der Videokonferenz erst jetzt öffnen. Zweitens ist es für Menschen grundsätzlich schwierig, Routinen zu ändern.“

Nur einige IT-Nerds schwärmten auch vor Corona schon von den Vorteilen der Videokonferenz. Corona-bedingt sind Unternehmen und ihre Angestellten nun zu einer längeren „Testphase“ gezwungen, die bei vielen Vorbehalte und Bedenken abgebaut hat. Das Forschungsteam geht deshalb davon aus, dass virtuelle Treffen auch in Zukunft in der Geschäftswelt eine wichtige Rolle spielen und Reisen im Job sich deutlich reduzieren werden. Doch das ist nach den Erkenntnissen des Projekts kein Selbstläufer.