Interview: Wissenschaft mit Haltung
Wissenschaft mit Haltung: Was motiviert Menschen, sich der Nachhaltigkeitsforschung zu verschreiben? Wie gelingt der Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Tiefe und praktischer Wirkung? In unserem Interview geben Dr. Tobias Froese und Julia Frantsits Einblicke in ihre persönlichen Wege, Forschungsansätze und die Ziele, die sie bei Borderstep verfolgen. Beide verstärken seit Januar 2025 das Borderstep Team.
Tobias, was hat dich bewegt, zum Borderstep Institut zu wechseln?
Dr. Tobias Froese: Was mich an Borderstep besonders gereizt hat, ist die einzigartige Kombination aus inhaltlicher Relevanz, wissenschaftlicher Exzellenz und praxisnaher Forschung. Seit zwei Jahrzehnten gilt das Institut als Vorreiter an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit, Innovation und Entrepreneurship – insbesondere in Themenfeldern wie Smart Energy, nachhaltigem Unternehmertum und Impactmessung. Gleichzeitig beweist Borderstep immer wieder den Mut, neue Forschungsfelder zu erschließen. Ich freue mich sehr darauf, neue Themen wie bürgergetragene Suffizienz-Innovationen oder Biodiversity-Entrepreneurship aktiv mitzugestalten. Borderstep ist genau in dem Bereich Vorreiter, in dem ich noch viel lernen und gleichzeitig etwas beitragen möchte.
Kennengelernt habe ich das Institut bereits im Rahmen eines gemeinsamen Projekts zu Geschäftsmodellen in der Gebäudeautomation während meiner Zeit als Postdoc an der ESCP Berlin. Schon damals habe ich das Team als offen, hilfsbereit und zugleich äußerst professionell erlebt – umso mehr habe ich mich über den Wechsel zu Borderstep gefreut.
Nicht zuletzt bietet mir die außeruniversitäre Struktur von Borderstep die Möglichkeit, langfristig an Forschungsthemen zu arbeiten, statt, wie es das Wissenschaftszeitvertragsgesetz an Hochschulen vorsieht, alle paar Jahre neu planen zu müssen. Für mich, der Forschung als Langstreckenlauf versteht, ist das ein echter Glücksfall.
Julia, gab es einen Moment, in dem dir klar wurde: Ich will in der Nachhaltigkeitsforschung arbeiten?
Julia Frantsits: Schon während meines Bachelors hat sich das Interesse angedeutet – vor allem durch meine Abschlussarbeit, die mir viel Freude gemacht hat. Die Zusammenarbeit mit Florian Lüdeke-Freund und Tobias Froese hat das noch weiter gestärkt. Wirklich ausschlaggebend war dann meine Masterarbeit: Das Gefühl, an Themen mit gesellschaftlicher Relevanz zu arbeiten und direkt am Puls der Zeit mitzuwirken, hat mich sehr motiviert. Die praktische Umsetzung und die Erfahrungen im Forschungsprozess haben mir gezeigt, wie gut mir diese Art der Arbeit liegt. Ich bin generell ein sehr wissbegieriger Mensch – das passt gut zur Forschung.
Tobias, wie sah dein bisheriger beruflicher Weg aus und was hat dich besonders geprägt?
Dr. Tobias Froese: Mein Weg ist geprägt durch die Verbindung von Wissenschaft und Praxis – und genau das spiegelt sich auch in meinem Forschungsschwerpunkt wider: nachhaltige Geschäftsmodelle. Nach meinem Bachelor in Design- und Projektmanagement an der FH Südwestfalen folgte ein Master in International Business & Sustainability in Hamburg. Danach hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. An der ESCP Business School habe ich 2024 meine Promotion mit summa cum laude abgeschlossen. In meiner Dissertation habe ich untersucht, wie Unternehmen mit nachhaltigen oder sogar wachstumskritischen Geschäftsmodellen echten Wert schaffen können.
Ein besonderes Highlight war die Mitorganisation der internationalen New Business Models-Konferenz 2019. Seither kuratiere ich dort jährlich mit Prof. Lüdeke-Freund einen Track zu Theoriegrundlagen nachhaltiger Geschäftsmodelle.
Seit Anfang 2025 bin ich Senior Researcher im Borderstep-Team und zusätzlich an der Universität Oldenburg im TEN.efzn-Projekt tätig, wo ich Diffusionspfade für Energieinnovationen erforsche.
Meine Praxiserfahrung, u. a. bei Beiersdorf, Henkel, Philips und Humana, in Bereichen wie Produktentwicklung, Nachhaltigkeit und Compliance, hilft mir heute, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich und anwendbar zu machen. Besonders prägend war auch mein Freiwilliges Soziales Jahr in Irland. Es hat mein Verständnis für soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und ökologische Verantwortung nachhaltig geschärft.
Julia, wie war dein erster Eindruck bei Borderstep?
Julia Frantsits: Meine ersten Eindrücke sammelte ich eigentlich schon im Vorfeld. Noch vor dem Start gab es ein Kennenlerninterview, einen fachlichen Austausch – und die Einladung zur Weihnachtsfeier. Das war besonders schön, weil ich das Team vorab erleben konnte. Schon damals hatte ich das Gefühl: Das ist ein toller Kreis mit Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben.
Bei Borderstep wird sehr bewusst rekrutiert – jede Person bringt etwas Einzigartiges mit. Die ersten Tage waren natürlich aufregend. Viele neue Eindrücke, viel Vorfreude auf die Projektarbeit und das gute Gefühl, hier genau richtig zu sein. Es fühlt sich wirklich wie ein kleines, wertschätzendes Team an. Fast wie eine Familie.
Tobias, woran arbeitest du aktuell und was reizt dich besonders an diesen Projekten?
Dr. Tobias Froese: Aktuell forsche ich bei Borderstep zu zwei zentralen Themen. Einmal arbeite ich an einem Projekt zu Energy Sharing in urbanen Quartieren. Besonders reizvoll ist für mich die ganzheitliche Perspektive: Wir untersuchen im interdisziplinären Team, wie gemeinschaftlich erzeugter Solarstrom technisch, wirtschaftlich und rechtlich sinnvoll genutzt werden kann. Mit dem BDEW haben wir zudem einen starken Auftraggeber, der unsere Ergebnisse wirksam in politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einbringen kann. Außerdem forsche ich zu Geschäftsmodellen für digitale Gebäudeautomation. Im ersten Projekt lag der Fokus darauf, wie sich Energieeinsparungen mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit und Akzeptanz der Mieterinnen und Mieter kombinieren lassen. Hier besteht noch viel Forschungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen von Wohnungsunternehmen. Zusätzlich bin ich im Rahmen meiner Tätigkeit an der Universität Oldenburg Teil des TEN.efzn-Projekts. In einem Netzwerk mit über 180 Forschenden entwickeln wir praxisnahe Lösungen für ein klimaneutrales, bezahlbares und sicheres Energiesystem in Niedersachsen.
Was sind aus deiner Sicht aktuell die spannendsten Herausforderungen in deinem Forschungsfeld?
Dr. Tobias Froese: Die spannendsten Fragen sehe ich an den Schnittstellen zwischen Technik, Recht, Gesellschaft und Wirtschaft. Zum Beispiel: Wie schaffen wir es, immer mehr erneuerbare Energien ins System zu integrieren – und gleichzeitig den Verbrauch zu senken, ohne soziale Gerechtigkeit zu gefährden? Wie lässt sich Energy Sharing rechtssicher und bürokratiearm umsetzen? Wie gelingt eine digitale Transformation, die dem Menschen dient – statt ihn an Technik anzupassen?
Spannend ist auch die Frage nach neuen Governance- und Geschäftsmodellen, die Biodiversität, Teilhabe und Suffizienz fördern – und so gestaltet sind, dass Unternehmerinnen und Unternehmer europaweit Lust bekommen, diese umzusetzen und zu skalieren.
Julia, arbeitest an deiner Promotion. Wie gelingt dir die Verbindung von Borderstep und Forschung?
Julia Frantsits: Das frage ich mich selbst auch immer wieder – und genau das macht es so spannend. Aktuell erlebe ich die Vielfalt der Nachhaltigkeitsforschung als sehr bereichernd. Ich sehe viele Synergien zwischen meiner Promotion und den Borderstep-Projekten. Die unterschiedlichen Perspektiven ergänzen sich gut und ermöglichen einen praxisnahen, gleichzeitig wissenschaftlich fundierten Zugang zu komplexen Themen.
Tobias, wie empfindest du die Zusammenarbeit im Team und die Arbeitskultur bei uns?
Dr. Tobias Froese: Ich erlebe Borderstep als sehr offenes und kollegiales Umfeld. Bei Fragen kann ich jederzeit „anklopfen“, für einen fachlichen Austausch findet sich immer Zeit. Unsere Teamkultur ist geprägt von Vertrauen, Eigeninitiative und Flexibilität. Das weiß ich sehr zu schätzen.
Diese Haltung geht über das Institut hinaus: Beim Impact-Forum zum 20-jährigen Jubiläum des Borderstep Instituts wurde für mich sichtbar, wie langjährig und partnerschaftlich auch die Zusammenarbeit mit externen Akteuren gestaltet ist.
Was bedeutet für dich wissenschaftliche Exzellenz und wie lebst du sie im Alltag?
Dr. Tobias Froese: Wissenschaftliche Exzellenz bedeutet für mich, mutige Fragen zu stellen, neue Denkansätze zu erforschen und dabei methodisch sauber und transparent zu arbeiten. Besonders wichtig ist mir die Offenlegung von Unsicherheiten und Grenzen der Objektivität – denn nur so entsteht Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse. Ich identifiziere mich stark mit dem Anspruch, der sich im Namen „Borderstep“ verbirgt: Forschung, die methodisch präzise ist, aber zugleich interdisziplinär, transformativ und pionierhaft. Wissenschaftliche Exzellenz zeigt sich für mich darin, Grenzen zu überschreiten – thematisch, methodisch und gesellschaftlich. Im Alltag versuche ich, Erkenntnisse nicht nur beruflich, sondern auch privat ernst zu nehmen: durch einen suffizienz-orientierten Lebensstil ohne Flugreisen, mit veganer Ernährung und lokalem Engagement.
Julia und Tobias, was möchtest ihr du bei Borderstep bewegen – kurz- oder langfristig? Was sollen andere aus eurer deiner Forschung mitnehmen?
Julia Frantsits: Ich möchte die Entwicklung von nachhaltigem Unternehmertum aktiv mitgestalten – insbesondere im Bereich Sustainable Entrepreneurship. Dabei ist mir wichtig, dass zentrale Herausforderungen wie Klimaschutz oder Start-up-Transformation stärker ins Bewusstsein aller beteiligten Akteure gerückt werden.
Ein persönliches Anliegen ist es, das Thema Biodiversitätsmanagement, das auch im Fokus meiner Promotion steht, stärker bei Borderstep zu verankern. Biodiversität sollte als essenzieller Bestandteil der Umweltbewertung in Projekten berücksichtigt werden. Ich möchte zeigen, dass auch komplexe Themen verständlich kommuniziert werden können – und dass Forschung Freiraum schafft, sich mit dem zu beschäftigen, was einen wirklich begeistert.
Julia und Tobias, was macht ihr gern außerhalb der Arbeit? Was gibt euch Energie?
Dr. Tobias Froese: Abseits der Forschung tanke ich Energie beim Tischtennistraining, Tanzen und Treffen mit Freunden – da wird der Kopf herrlich frei. Besonders wichtig ist mir auch mein Kleingarten in Eberswalde: ein Rückzugsort, der Ruhe schenkt und Zufriedenheit gibt.
Julia Frantsits: Musik – in jeder Form. Ob hören oder selbst singen, vor allem das Singen gibt mir Kraft und Lebensfreude. Dazu lange Spaziergänge in der Natur und die kontinuierliche Arbeit an meiner persönlichen Entwicklung.
Gibt es ein Buch, einen Film oder ein Erlebnis, das euch besonders inspiriert hat?
Julia Frantsits: Ja, aktuell lese ich „Dein Ego ist dein Feind“, ein Buch, das viele zentrale Lebensfragen auf den Punkt bringt. Besonders inspiriert hat mich das Konzept der Euthymia: den eigenen Weg zu finden und ihm treu zu bleiben, ohne sich zu sehr von außen beeinflussen zu lassen. Oder die Idee: Suche dir immer drei Menschen – jemanden, von dem du lernen kannst, jemanden, den du unterstützen kannst, und jemanden auf Augenhöhe. Das schafft Entwicklung auf mehreren Ebenen. Und eine zentrale Frage des Buches begleitet mich: „Willst du jemand sein, oder etwas tun?“ Also: Handelt man aus echtem Antrieb oder aus dem Wunsch nach Anerkennung? Diese Gedanken haben meine Perspektive auf vieles verändert.
Dr. Tobias Froese: Das Sachbuch „Erzählende Affen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig hat mich zuletzt tief beeindruckt. Es zeigt, wie sehr Geschichten unsere Wahrnehmung und gesellschaftlichen Wandel prägen. Ich nehme daraus mit, Forschung nicht nur korrekt, sondern auch narrativ kraftvoll zu kommunizieren. Sehr empfehlenswert ist übrigens auch ihr Podcast Piratensender Powerplay.
Gibt es ein Reiseziel, das ihr empfehlen möchtet?
Julia Frantsits: Wien – ganz klar. Ich durfte dort vier Jahre leben, und es waren prägende, wunderschöne und abenteuerreiche Jahre. Ich kehre immer wieder gerne zurück und bin jedes Mal aufs Neue von der Schönheit der Stadt begeistert. Mein Lieblingsort dort ist der Volksgarten – ein ruhiger, inspirierender Platz mitten im Zentrum, an dem ich viele besondere Begegnungen hatte.
Dr. Tobias Froese: Ich kann die Apuanischen Alpen in der nördlichen Toskana wärmstens empfehlen: eine spektakuläre Kombination aus schroffen Kalkgipfeln und Ausblicken auf Meer und Berge. Und das Beste: Ab Juli 2025 fahren wieder mehrere Nachtzüge direkt von Deutschland nach Italien – klimafreundlich und entspannt.