Mehr als 80 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland sind
energiebedingt. Angesichts des Klimawandels drängt deshalb der Umbau zu einer nachhaltigen Energieerzeugung und -nutzung.
Der Umstieg auf Windenergie und Photovoltaik ist nicht genug: Es bedarf einer wesentlich effizienteren und intelligenteren Verteilung, Speicherung und Nutzung von Energie. In neu gebauten Gebäuden und Quartieren sind Energieeffizienz und ein klimaverträglicher Betrieb heute selbstverständlich. Die Verbindung des existierenden Gebäudebestands mit ambitioniertem Klimaschutz bleibt hingegen eine Herausforderung.
Im Verbundforschungsprojekt WindNODE erprobte das Borderstep Institut, wie das konkret im Stadtquartier aussehen kann. Welche Hürden existieren? Welches Potential für die Energiewende resultiert daraus? Diese Fragen untersuchte Borderstep in einem Wohnquartier in Berlin Prenzlauer Berg gemeinsam mit den Projektpartnern
Digitalisierung erschließt Effizienz- und Flexibilitätspotenziale im Gebäudebereich
Die Grundlage für die Erprobung der innovativen Rollen von Quartieren im Energiesystem stellt ein dezentrales Energiemanagement dar. Es vernetzt die 225 Wohnungen in 6 Gebäuden und das gesamte Quartier. Die Bewohnerinnen und Bewohner können mit dieser Technik für jeden ihrer Räume die gewünschten Temperaturen passend zu ihrem Tagesablauf einstellen.
Auf Ebene der Gebäude und des Quartiers sorgt das Energiemanagement einerseits für eine möglichst bedarfsgerechte und kostengünstige Wärmeversorgung aus Blockheizkraftwerk, Spitzenlastkessel und elektrischen Heizelementen. Mit Hilfe von Schnittstellen zum Netzbetreiber Stromnetz Berlin oder dem Virtuellen Kraftwerk des Energiehändlers Energy2market kann der Anlagenbetrieb dynamisch an den Bedarf im Energienetz- bzw. Markt angepasst werden.
Verschiebung der Stromerzeugung und des Verbrauchs
Immer häufiger wird im Nordosten Deutschlands mehr Windenergie erzeugt als verbraucht oder transportiert werden kann. Mit dem Blockheizkraftwerk in solchen Zeiträumen zusätzlichen Strom zu erzeugen verschärft die Engpässe nur. Stattdessen wird durch das Energiemanagement die Erzeugung gedrosselt und die Last durch Power-to-Heat Elemente erhöht. Dies konnte im Forschungsprojekt in engem Austausch mit Netzbetreiber und Marktakteuren demonstriert werden. Um solche Modelle zukünftig zu ermöglichen, sind wesentlich variablere Strompreise und eine Reduktion der starren Preisbestandteile erforderlich.
Es zeigt sich, dass mit dem Dezentralen Energiemanagement zusätzlich zu Energieeinsparungen von etwa 25 Prozent durch die Bereitstellung von Flexibilität ein großer Beitrag zum Gelingen der Energiewende geleistet werden kann.
Dr. Severin Beucker, Projektleiter WindNODE AP 8.2, Senior Researcher Borderstep Institut
„Gebäude und Quartiere stellen mit etwa einem Drittel des Endenergiebedarfs in Deutschland ein entscheidendes Element für die Energiewende dar. In WindNODE konnte das Borderstep Institut zeigen, dass die Digitalisierung neben Effizienzpotenzialen auch Flexibilität in Gebäuden erschließen kann.“
Dr. Manfred Riedel, Berater im Auftrag der Dr. Riedel Automatisierungstechnik GmbH
„Die erzielten Ergebnisse im Wohnquartier Prenzlauer Berg belegen überzeugend, dass mit Hilfe einer digitalen Infrastruktur insbesondere im Gebäudebestand die Energieeffizienz beträchtlich erhöht und erneuerbarer Strom zur Wärmeversorgung genutzt werden kann. Seit Anfang 2021 wird im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude BEG eine derartige Infrastruktur erheblich gefördert, so dass nun die Wohnungswirtschaft am Zug ist.“
Flexibilitäten für den Strommarkt und das Stromnetz
Das Projekt erprobte auch die Bereitstellung von Flexibilität für den Strommarkt und das Stromnetz. Vereinfacht gesagt: In Zeiten, in denen im Nordosten Deutschlands bereits Überschüsse aus Windkraftanlagen existieren, kann die Stromerzeugung des mit Erdgas betriebenen BHKWs reduziert werden. Die Wärmeversorgung stellen die elektrischen Heizstäbe (mit der ansonsten abgeregelten Windenergie) bereit. In Zeiten längerer Flauten kann dagegen die Stromerzeugung des BHKWs gezielt erhöht werden, um die Stromversorgung der Region sicherzustellen. Im Gebäudebereich bieten sich hier auch die Potenziale von Stromspeichern, Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen und Ladeinfrastruktur für Elektromobilität an, um solche Formen der intelligenten Sektorenkopplung und Flexibilität zu schaffen.
Stadtquartier als Energiespeicher
Im Projekt wurden konkrete Anwendungsfälle definiert, um die Erbringung für Flexibilität aus Stadtquartieren für verschiedene Bereiche im Strommarkt und Stromnetz zu nutzen. Unter Berücksichtigung von Elektromobilität lässt sich im Gebäudebereich bis zum Jahr 2030 eine Anlagenleistung von über 30.000 MW durch solche Modelle erschließen. Damit kann einerseits besser auf die Erzeugungsschwankungen von Photovoltaik und Windenergie reagiert werden. Andererseits lässt sich diese Flexibilität auch nutzen, um auf Engpässe im Stromnetz zu reagieren.
Michael Geißler, Geschäftsführer der Berliner Energieagentur
„Das Zusammenbringen der Energieversorgung auf Quartiersebene mit Wind- und Solarstrom ist eine Herausforderung. WindNODE hat uns die Möglichkeit gegeben, an diesen zukunftsfähigen Fragestellungen zu arbeiten, unser Know-how einzubringen und Erfahrungen zu sammeln. Dies ist ein wichtiger Baustein, der wegweisend für den Einsatz von erneuerbaren Energien sowie verschiedener Effizienztechnologien im urbanen Raum und darüber hinaus ist.“
Marcus Voß, Leiter Anwendungszentrum Smart Energy Systems, DAI-Labor
„In Simulationen basierend auf den im Quartier Prenzlauer Berg erhobenen Daten konnten wir zeigen, dass Quartiere und Gebäude durch die Sektorenkopplung (z.B. Elektrofahrzeug-Ladesäulen und Power-to-Heat) durch eine optimierte Steuerung ohne große Einschränkungen als Flexibilität für das Energiesystem nutzbar gemacht werden können. Mit der DIN SPEC 91410-2 wurde ein Baustein für eine zukünftige erfolgreiche Umsetzung in der Praxis gelegt.“
Geschäftsmodelle für Flexibilität aus Quartieren stärken
Welche Geschäftsmodelle bieten sich unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der technischen Umsetzung vor Ort an? Welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden? Das untersuchte Borderstep mit den beteiligten Partnern aus WindNODE anhand des Sustainable Business Model Canvas. Dabei wurden die relevanten Faktoren für zukünftige Geschäftsmodelle ausführlich diskutiert und im Zusammenspiel mit den regulatorischen Rahmenbedingungen analysiert.
So ergeben sich vor allem aufgrund der starren Strompreisbestandteile, sowohl bei Stromverbrauch wie auch bei der -einspeisung, noch immer sehr ungünstige ökonomische Rahmenbedingungen. Die Neuregelung des §14a EnWG, für steuerbare Verbraucher im Verteilnetz könnte mit einer neuen Anreizsystematik Abhilfe schaffen.
Das Smart Building im Plattenbau – die Utopie besuchbar machen
Das Projekt WindNODE verfolgte auch das Ziel, erneuerbare Energien erlebbar zu machen. Borderstep schuf deshalb mit seinen Partnern im Rahmen des Vorhabens einen „besuchbaren Ort“ im Versuchsquartier. Hier wurden die innovativen Technologien und Geschäftsmodelle erprobt.
Das Wohnquartier, das in den 60er Jahren des ehemaligen Ostberlins entstand, wird von einer Genossenschaft verwaltet. Es ist sozial durchmischt, viele Menschen leben schon sehr lange hier. Das bildete einen idealen Ausgangspunkt, um übertragbare Ergebnisse zu erzielen. Der konkrete Umsetzungsort wurde anhand von Informationstafeln so gestaltet, dass er im Rahmen von Veranstaltungen besucht werden kann – was aufgrund der aktuellen Pandemie nur sehr eingeschränkt möglich war.
Flexibilität aus Gebäuden wird zum Standard
In WindNODE wurde stets der Wert von Flexibilität für die Stromversorgung betont. Inwiefern sich ein Gebäude flexibel verhält ist gegenwärtig jedoch nicht Bestandteil der energetischen Bewertung von Gebäuden. Deshalb initiierten die Beteiligten des Arbeitspaketes eine Normungsinitiative für die DIN SPEC 91410-2, gemeinsam mit Partnern aus NEW4.0 (Projekt Norddeutsche Energiewende) sowie Partnern, die nicht an einem SINTEG Schaufenster beteiligt sind. Diese DIN SPEC konnte Ende 2020 erfolgreich fertig gestellt werden und befindet sich im Prozess der Veröffentlichung.